All meine Hoffnungen lagen jetzt auf ihrem 18. Geburtstag. Ich hoffte, sie würde sich ihr eigenständiges Denken und Handeln bewahren, würde zu einem reifen Jugendlichen heranwachsen, der sich selbst eine Meinung bilden kann, in dem er ausbricht und selbst nach Antworten sucht. Ich ahnte wohl, dass ihre Eltern sie in eine bestimmte Richtung erzogen hatten, denn sie alle kannten nur diese eine falsche Wahrheit über mich – Ich hatte mich nicht um Doreen gekümmert.

Wie ich erfahren habe, ging sie im Sommer 1996 ins Ausland als Au-Pair. Ich recherchierte über alle möglichen Vermittlungsstellen, die sie vermittelt haben könnten und schrieb sie an, ob sie mir nicht weiterhelfen könnten, Doreen zu finden. Es war mir nicht vergönnt, sie zu finden und so blieb mir nichts anderes übrig, als ihr zum Geburtstag 18 rote Rosen zu schicken, in der Hoffnung, dass sie sie bekam. Im Jahr darauf schickte ich ihr das Bild, was ich von ihr reproduzieren ließ mit einer Art Geheimversteck. Hinter dem Bild befand sich eine Visitenkarte von mir, die sie irgendwann finden sollte. Wieder verging ein Jahr und dieses Mal bekam sie das Buch vom Kleinen Prinzen mit einem Brief von mir und einem versteckten Hinweis darauf, dass das Bild noch ein Geheimnis barg. Im darauf folgenden Jahr um Ostern herum kam ein Paket. Mich erstaunte, was ich sah. Ein Paket an mich adressiert, aber auch von mir abgesandt. Die Handschrift hätte auch meine eigene sein können. Als ich das Paket öffnete, fand ich das Buch des Kleinen Prinzen und einen Brief:

 

Ute,

ich wohne momentan aus beruflichen Gründen nicht in Thalheim. Deshalb möchte ich dir schreiben und dich bitten, dass du deine jahrelange Suche nach mir aufgibst. Die negativen Erinnerungen an meine Kindheit und Heimzeit überwiegen noch immer. Meine vielen schlaflosen Nächte durch dein Aufspüren sind zum Glück vorbei. Ich bin an Kontakten bzw. Geschenken, letzteres schicke ich deswegen zurück, nicht interessiert. Ich hoffe, du akzeptierst endlich meine Entscheidung. Dir wünsche ich für die Zukunft alles Gute.


Doreen

Das war die Doreen, die ich nicht kannte. Sie war nicht mehr das warmherzige, scheu lächelnde Kind von damals. Sie war heran gewachsen zu einer jungen Frau, die verzweifelt versuchte, ihre Vergangenheit abzuschütteln und alles hinter sich zu lassen. Aber zu welchem Preis???

Im Februar 2004 starb Jürgen Walther B. an jahrelangem Lungenkrebs einsam in einem Männerhaus. Ich hatte keine Tränen für ihn. Auch Roy, Udo und Thomas leben dort, weil sie nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Mutter lebt im Frauenhaus. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihnen.

Kaum ein Jahr später verlor ich auf tragische Weise meinen Bruder Sven bei einem Polizeihubschraubereinsatz in Thalheim, der zusammen mit dem Piloten tödlich verunglückte. Manchmal ist das Leben zu kurz, um sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, anstatt sich auszusöhnen, auf den anderen zuzugehen und einander zu vertrauen.......